Die Suche nach den Wow-Momenten

Ein Haus wie das «Aves Homebase» ist neu für Arosa. – Ein Besuch im Ferienhotel, in dem selbst die Betten inszeniert werden und die Digitalisierung an die Grenzen stösst.


An den Treppenstufen zwischen der Lobby und dem ersten Stock prangen Auszüge aus Songtexten, etwa aus «Bohemian Rhapsody» von «Queen». Auf den Zimmertüren sind Zitate verwigt, zum Beispiel ein knappes «No» aus Shake­speares «Hamlet», Akt 3. Oder von Everest­Bezwinger Edmund Hillary. Und im Lift mit dem konvexen Spiegel darf Ronald Reagan seinen Senf zur Weltlage geben.

Die «Aves Homebase», Arosas neustes Hotel, steckt voller Sinnsprüche. Martin Küttel hat sie ausgesucht. Der Luzerner gehört zu den kreativsten Köpfen in der Schweizer Hotelbranche. Er ist Partner bei der Katag und als VR­Delegierter der Aves Management AG der Drahtzieher und Ideengeber hinter den Kulissen. Mit Nik Theodoracakis dirigiert ein zweiter Zentral­schweizer Hotel­ und Gastroprofi an der Front das «Aves». Der imposante Bau zwischen Obersee und Sportanlage, 300 Meter vom Bahnhof entfernt, nimmt den Platz des Hotels Carmenna ein, das vor einer hal­ben Ewigkeit einem Brand zum Opfer gefallen ist.


2010 erwarb die Konge Hotel AG, eine Tochtergesell­schaft der Immobilienentwicklerin Generalista AG das Grundstück. Vor dreieinhalb Jahren erfolgte der Spatenstich und am 5. Dezember 2022 checkten die ersten Gäste ein. Das «Aves»­Management führt den Betrieb, der zwar das Beherbergungsgeschäft in den Alpen nicht gerade revolutioniert, in dem aber einige bemerkenswerte Ideen umgesetzt wurden.


Alle Zimmer mit 20 Quadratmetern

An sich ist das Hotel klassisch gebaut, mit schier end­losen Fluren in der Längsachse und links und rechts Zimmern, alle 20 Quadratmeter gross. Die Etagen eins bis drei beherbergen 87 Doppelzimmer. Im vierten Stock finden sich elf Zweieinhalb­ und Dreieinhalb Zimmer­ Appartments. Sie wurden im Stockwerkeigen­tum verkauft, die Besitzer zur Vermietung über den Hotelbetrieb verpflichtet. Fünf Zweitwohnungen bele­gen die fünfte Etage. Zahlen sind nicht erhältlich, aber es bleibt anzunehmen, dass der Verkauf der 16 Wohn­einheiten einen guten Teil der Investitionen deckte. So unspektakulär, so gut. In fünf Bereichen arbeitet man im «Aves» jedoch an der Zukunft der Ferienhotellerie:


1. Storytelling: Freiheit und Nestwärme

Der Hotelname, der lateinisch «Vogel» bedeutet, ist ein Plädoyer für Individualität. Die Gäste jeglichen Alters sind so frei wie Vögel und geniessen gleichzeitig Nestwärme im Haus. Das «Premium ­Budget­ Erlebnis­ Hotel» soll «Homebase für Entdeckerinnen und Aben­teurer» sein. Es wimmelt in den Strategiepapieren und Werbemessages nur so von Anglizismen. Angesagt sind «in door pleasure, outdoor fun» oder «simplexity». Und die Zielgruppe? «Menschen, die Wow­Momente suchen». Dazu passen hausinterne Schlüsselwörter wie «funky», «fantastisch» oder «super» und die kum­pelhafte Ansprache «Du bist wir und wir sind du». Resultat: eine durchwegs ungezwungene Ambiance. Niemanden stört es im «Aves», wenn ein Gast früh­morgens im Pyjama zur Bar schlurft, wo Gratis­Ge­tränke warten, und sich mit zwei Kaffees wieder auf den Rückweg ins Zimmer macht.


2. Öffentlicher Raum: Arbeiten und Chillen

Das Hotel besteht im Parterre vor allem aus «Explorer Areas». Fleissige Väter oder Mütter arbeiten im «Working Space» an einem langen Tisch, während die Kinder ihr Mütchen an der Kletterwand kühlen oder Fuss ballverrückte sich am XXL­Töggelikasten aus­toben. Hängematten laden zum Chillen ein. An der «Social Media Wall» teilen Hotelmitarbeiter und Gäste ihre Filmchen vom Aroser Tag.


3. Digitalisierung: Zurückhaltende Gäste

Der VR­Delegierte Küttel und General Manager Theodoracakis waren mit dem Anspruch angetreten, das perfekt digitalisierte Hotel in den Alpen zu in­ stallieren, mit bargeldlosem Zahlen, Self­Check­in und Türöffnung sowie flächendeckenden Gästeinfos – alles selbstredend übers Handy. «Wir haben unsere Kundschaft überschätzt», konstatiert Martin Küttel. «Der Informationsbedarf in einem Ferienhotel in den Alpen ist viel grösser als in einem Stadtbetrieb.» Und Nik Theodoracakis ergänzt: «Viele Gäste suchen bewusst den persönlichen Kontakt mit den Mitarbei­tern.» Deshalb musste die Belegschaft am Frontdesk, der auch eine Bar ist, eiligst aufgestockt werden. Inzwischen sind die relevanten Infos auf allen Kanä­len besser sichtbar.


4. Baukastenpreis: Überraschende Goodies

Im «Aves» soll der Gast nur bezahlen, was er wirklich braucht. Das spart beidseitig Kosten und ermöglicht dem Hotel, die Ressourcen effizient einzusetzen. Im Preis in begriffen ist in erster Linie das Zimmer, wo das 2 × 2 m grosse Bett und ein 65­Zoll­Fernseher insze­niert werden. Alle Zimmer haben Aussicht und Balkon. Ein offener Schrank mit Safe und verstell baren Klei der­ haken an den seitlichen Innenwänden, ein runterklapp­barer Nachttisch, der auch als Schreibfläche dient, ein Hocker, mobile Lampen – das ist die Ausstattung. Im Bad das konventionelle Layout mit (Regen­)Dusche, Lavabo und WC. Als Goodies im Übernachtungspreis gelten die Getränke an der Gratis­Bar, die unentgelt­liche Be nutzung der Waschma schinen und der kleinen, funktionalen Wellnessanlage. Frühstück und Zimmer­reinigung werden dazugebucht; alle vier Tage erfolgt ein Fresh­up samt Austausch der Frotteetücher.

Erste Erfahrungswerte: «80 Prozent der Gäste buchen im Voraus oder im Hotel Frühstück, tägliche Zimmer­reinigung ist vor allem bei Kurzaufenthaltern weniger gefragt», so Nik Theodoracakis. Dank den schlanken Strukturen und dem gezielten Service kann der General Manager das «Aves» im Winter mit 30 Mit­arbeitern betreiben. Die Hälfte der Crew hat Jahres­, die andere Saisonverträge. Das Hotel legt vom Oster­dienstag bis Anfang Juni eine Pause ein, bleibt dann für den Rest des Jahrs geöffnet.

5. Gastronomie: Pinsas und Pasta

Frühstück gibt es bis 11.30 Uhr, warmes Essen von 12 bis 22 Uhr. Die Zimmerstunde entfällt, das F&B­Team arbeitet in Schichten. Die Gerichte sind so ausgewählt, dass es in der Küche keine hochspezia­lisierten Köche braucht: Pasta, Pinsas – leicht verdau­liche Pizzen, Mezze, Burger oder Salate. Vieles ist im Sharing­Konzept erhältlich. Dank der Top­Lage am See wird das Restaurant vor allem am Nachmittag von vielen externen Gästen frequentiert.

Bereicherung für den Ferienort

Arosa hat dieses Hotelkonzept wohlwollend aufge­nommen. Am «Tag der offenen Tür» vor dem Opening schauten sich 400 Einheimische im Haus um. Denn Martin Küttel und seine Aves Management AG über­liessen nichts dem Zufall. «Wir setzten das Konzept nach einer genauen Marktanalyse um», sagt der VR­Delegierte. «Wir sahen, dass im Ferienort Arosa ein Hotel dieser Art fehlt.» Bis in zehn Jahren möchte die Betreiberin noch mindestens vier weitere «Aves Homebase» in Schweizer Berggebieten eröffnen, spruchreif ist aber noch nichts.


Den Gästen scheint es im neusten Aroser Bijou zu gefallen. An den Wänden links und rechts der Treppe hinauf zum ersten Stock und an den Zimmertüren dürfen sie ihren Gedanken mit abwaschbarem Filzer freien Lauf lassen: «Schön zum Chille», heisst es da etwa oder «We love Arosa, we love Aves».



Martin Küttel

VR-Delegierter der Aves Management AG: Die «Aves Homebase» ist das Ergebnis einer intensiven und detaillierten Marktanalyse.







Nik Theodoracakis

General Manager «Aves Homebase» in Arosa: Mit 30 Mitarbeitern sorgt er trotz schlanken Strukturen für gezielten Gästeservice.

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