Gastfreundschaft für alle Branchen trainieren

Gastfreundschaft ist die Kernkompetenz der Hotellerie. Sie ist in erster Linie eine Haltung: In Kursen der SHL Schweizerischen Hotel­fachschule Luzern für Autohändler, Banker oder Polizisten wird «grosszügige Kundenorientierung» trainiert. Es geht um die Werte des zuvorkommenden Umgangs miteinander. «Willkommensein ist keine Wissenschaft», erläutert Timo Albiez im Gespräch.


«Wenn Kunden in die Garage kommen, sollen sie das Gefühl haben, sie kämen in ein Fünf­Sterne­Hotel.» So lautete der Auftrag, den Timo Albiez vor sieben Jahren von ei nem erfolgreichen Mercedes­Auto handelsunternehmer erhielt. Seither entwickelte der Stell vertreten de Direktor der SHL Schweizerischen Hotelfachschule Luzern die Kunst der Gastfreund­schaft zum Produkt, zum erfolgreichen Angebot. Banker, Polizisten, Chauffeure, Key­Account­Mana­ger, Geschäftsführer, Mechaniker, Be amte, Autover­käufer oder Spitalmitar beit er – sie alle trainieren mittlerweile Gastfreundschaft mit der SHL. Bisher machte einzig ein Hinweis auf der SHL­Web site auf das Angebot aufmerksam. «Es lebt davon, mündlich weiterempfohlen zu werden», sagt Albiez, der diplo­mierte Ausbildungsleiter.

Bei allen Unternehmen, die dieses SHL­Angebot nut­zen, geht es um «grosszügige Kundenorientierung». Sie ist – ergänzend zu einem guten Produkt – das Ent­scheidende. Das Training für die Kundenorientierung ist umfassend: «Es geht darum, die gesamte Customer Journey zu optimieren. Angefangen beim ersten Ein­druck, den Kundschaft und Gastgeber beidseitig gewinnen, bis hin zu den kommunikativen Kompeten­zen und der Nachbereitung eines Kundenkontakts.»




Bodenständiges Angebot

Das Drumherum zu gestalten – die Atmosphäre, die Beziehung –, ist entscheidend für den gelingenden Kontakt. Die Hotellerie habe die Kompetenz der Gast­freundschaft und des Gastgeberseins. Albiez spricht von einer «Haltung», die vermittelt werden soll. Um gleich einzuschränken, dass durch einen Kurs noch keine Haltung entstehe, aber die «Kernelemente des Willkommenseins» bewusst gemacht werden können. Es sei keine abgehobene Wissenschaft, «nicht rocket science», was er und sein Dozententeam anbieten, meint Albiez. «Die Einfachheit des Angebots über­zeugt. Unsere Ausbildungsphilosophie liegt auf der Hand. Es ist in gewissem Sinne bodenständig, praxis­orientiert und einleuchtend.»


In den Kursen zur Gastfreundschaft wird die «SHL­Mentalität» weitergegeben. Es sind die Werte des zu ­vor kommenden Umgangs miteinander. Damit meint Albiez eine kompetente Kommunikation, die den Menschen «ein gutes Gefühl» gibt. «Für Hoteliers ist diese Kompetenz Teil ihres Jobs.» Timo Albiez erkennt darin auch einen Gegentrend zu Entwicklungen in der digitalen Welt. Dort würden Unternehmen immer mehr Aufträge und Aufgaben an die Kundschaft ab ­geben. Er nennt beispielsweise das E­Banki ng. Für Premium­Produkte könne und müsse jedoch eine «Premium­Welt» geschaffen werden. Dies schaffe man durch den persönlichen Kontakt.


Kontakt: Es muss «chlöpf

Wie kann diese Kompetenz des persönlichen Kontakts erlernt und trainiert werden? Bei dieser Frage kommt Kundenkontakt­Experte Albiez in Fahrt. «Persönliche Kontakte müssen differenzieren. Es muss ‹chlöpfe›. Man muss spüren, dass ich Freude habe, dass ich da bin.» Einverstanden, aber wie trainiert man das «Chlöpfen»? In den Kursen der SHL sehr praxisnah.



Gedanken zu Gastfreundschaft und Gastgeber(-tum)

Den Begriff «Gastgebertum», zugegeben ein eher altertümlich wirkendes Wortungetüm, mag Timo Albiez nicht. Es ist nicht nur der sprachliche Aspekt, der ihn stört. «Ich mag das Wort nicht, denn es steckt etwas Devotes drin.» Er zieht den Begriff «Hospitality» oder «Hospitality-Management» vor.


Die Rolle des professionellen Gastgebers, des Hoteliers, sieht er als «persönliche

Ausgestaltung der Gastfreundschaft». Es ist für ihn eine Haltung mit Selbstbewusstsein und einem reflektierten Selbstverständnis – agil, flexibel und innovativ. «Gastfreundschaft», so erläutert Albiez, «ist das Können, ein gutes Gefühl zu vermitteln, und zwar durch eine Person, die diese Haltung in sich selbst trägt».


Die Hotellerie ist seit jeher das Geschäft, in dem Tisch, Bett, Essen und Gastfreundschaft gegen Entgelt angeboten werden. Dass die gastfreundschaftliche Kernkompetenz von anderen Branchen importiert wird, sieht Albiez als Weiterentwicklung. Die Dienstleistungsorientierung der Unter nehmen zu stärken, da die Kundschaft an Bedeutung gewinne, erachtet er als Notwendigkeit. «Die Kunden haben Macht. Sie wünschen sich nicht nur ein tolles Produkt, sondern auch eine individuelle Betreuung», sagt Albiez.


In fast allen Branchen könne heute mehr von einem Käufer- als von einem Anbieter-markt gesprochen werden. Er bringt den Begriff «customer centricity» ins Spiel. Viele Kunden seien bereit, für eine besonders individuelle, zuvorkommende Behandlung zu bezahlen. Diese Erkenntnis hat man in der Hotellerie schon lange. Eine Erkenntnis, die zum Nutzen von Unternehmen und Kunden anderer Branchen weitergegeben werden kann. Oder?


Ein Beispiel: Die Teilnehmer stehen an einem gedeck­ten Tisch und betrachten ihn aufmerksam. Sie haben die Aufgabe, das Gedeck «nachzubauen». Bei dieser Übung gehe es um Aufmerksamkeit, Acht samkeit, Genauigkeit, Präzision, Standards (Gedeck immer gleich anordnen) oder Sauberkeit, erläutert Albiez.


Ein Mittagessen an der SHL mitservieren, ist eine weitere Aufgabe. «Dieses Training», so erzählt er engagiert, «bleibt den meisten als Top­Erfahrung.


Diese gilt es, in die eigene Arbeitswelt zu übertragen.» Was macht die «Top­Erfahrung» aus? Rückmeldun ­gen der Trainingsteilnehmer illustrieren die Service­ Besonderheiten: In kurzer Zeit müssten viele Gäste bedient werden. Es sei sehr anstrengend über die ganze Zeit freundlich und zuvorkommend zu sein. Der Blick für das Ganze sei notwendig. Beim Service müssten zahlreiche Standards eingehalten werden, und zwar von allen.


Post von sich selbst

Um nachhaltig zu wirken, braucht es mehr als einen Kurs in Gastfreundschaft. «Sonst bleibt der Trott», weiss Albiez. Die Kurserkenntnisse müssten immer wieder «gecheckt» werden. So schreiben die Teilneh­mer am Schluss des Kurses ihre wichtigsten Lern­punkte auf eine Postkarte. Timo Albiez sammelt die Karten ein. Etwa einen Monat später schickt er sie per Post an die Teilnehmer. Post von sich selbst zu erhal­ten, mit der Erinnerung an eigene Gedanken, Vorsätze und Ziele, sei ein äusserst wirkungsvolles Lerninstru­ment, so seine Erfahrung.


1:1-Kundenkontakt – ein Luxus

Damit sich das Investment einer Firma in die Aus­bildung in «grosszügiger Kundenorientierung» lohnt, müsse diese Haltung Teil der Unternehmenskultur werden, betont der erfahrene Ausbildungsleiter Albiez. Der Faktor Mensch, der 1:1­Kundenkontakt, sei in der sich weiter digitalisierenden Welt ein Luxus. «Die Kunden spüren zu lassen, dass man ihnen Zeit schenkt, dass man sie nicht abspeist, dass man auf ihre individuellen Bedürfnisse eingeht und ein flexib­les Gespür für sie entwickelt, das ist heute das Ent­scheidende, ein Luxus.» Albiez fasst den zentralen Gedanken der Kundenorientierung in eine knappe Formel: «Kunde, wir verstehen dich.» Diese Kom­petenz, die Kernkompetenz der Hotellerie, kann auf andere Branchen übertragen werden. Denn es gehe immer darum, «besser zu sein als die Wett bewer ber, Emotionen zu wecken und um die Qualität der Dienst­leistung», erläutert Timo Albiez.


Triple-A

Das «Metier der Hotellerie» in andere Branchen ein­fliessen zu lassen, erachtet Albiez als erreichbares Ziel. Es gehe um «Bodennähe und nicht darum, wahnsin­nige Strategien zu entwickeln». Er bringt das Credo der gelebten Gastfreundschaft in einem Unternehmen nicht auf einen, sondern auf drei Punkte: «Attention, Attitude, Action.» Es gehe im Kontakt mit Kunden immer um dieses Triple: «Um Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Um die Haltung, für die anzusprechende Person ein positives Erlebnis schaffen zu wollen. Um die Aktion, es im Alltag tatsächlich umzusetzen.»

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